Am 28. Juni 2025 tritt der European Accessibility Act (EAA) in Kraft und setzt neue Standards für die Barrierefreiheit von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU. Diese Regelung betrifft Anbieterinnen und Anbieter, Herstellerinnen und Hersteller sowie digitale Dienstleistende – also auch alle Websites, die Produkte in der EU verkaufen. Der EAA wird das Leben von Millionen Europäerinnen und Europäern verbessern, was wir bei Kooba sehr begrüßen. Dennoch es lohnt sich, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen diese Regelung auf die wirtschaftlichen Ergebnisse europäischer Unternehmen haben wird. In diesem Artikel werfen wir einen Blick darauf, welche Herausforderungen und Chancen diese Maßnahme für Firmen in der EU mit sich bringt.
Mehr als Barrierefreiheit: Der EAA im größeren Kontext
Das Hauptziel des EAA ist es, das Leben von Menschen mit Behinderung in der EU zu verbessern. Doch diese Maßnahme sollte auch im größeren Kontext der EU-Politik betrachtet werden. Während Europa interne und externe Herausforderungen angeht, hat Barrierefreiheit eine zusätzliche Funktion: Sie trägt zu den wirtschaftlichen und bildungspolitischen Zielen der EU bei. Der EAA ist somit Teil eines umfassenderen Projekts zur europäischen Integration, Kohäsion und Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig wird die EU versuchen, die Einführung barrierefreier Standards mit anderen politischen Zielen wie wirtschaftlicher Integration und Nachhaltigkeit zu kombinieren.
Wirtschaftliche Vorteile des EAA
1. Industrielle Integration
Ein offensichtlicher Vorteil des EAA ist die stärkere Integration von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU. Wenn physische und digitale Produkte für alle Userinnen und User zugänglich sind, können sie einfacher produziert, konsumiert und über Grenzen hinweg gehandelt werden. Das fördert die wirtschaftliche Integration Europas. Barrierefreies Design überschneidet sich mit universellem Design und ist daher ein grundlegender Bestandteil jedes guten Designprozesses. Diese Logik scheint auch die EU zu verstehen und nutzt Barrierefreiheit als Werkzeug, um universell nutzbare Produkte in den Mitgliedsstaaten zu fördern.
In jüngster Zeit hat die Notwendigkeit wirtschaftlicher Integration stark zugenommen. Mario Draghis Bericht zur „Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ unterstreicht die Bedeutung von Integration, um groß angelegte Industriepolitiken umzusetzen, die die EU-Wirtschaft modernisieren und mit den USA und China konkurrieren lassen sollen. Barrierefreiheit und der EAA spielen dabei eine kleine, aber bedeutende Rolle.
2. Europäische Kohäsion
Integration und Kohäsion mögen ähnlich klingen, aber es gibt feine Unterschiede. Während Integration eine wettbewerbsorientierte Vision einer europäischen Wirtschaft darstellt, zielt Kohäsion auf die gleichmäßige Entwicklung verschiedener Staaten, Branchen und Bevölkerungsgruppen. Kohäsion bedeutet in diesem Kontext, dass die EU Menschen mit Behinderung aktiv einbindet.
Hinter diesem Ziel steht auch ein wirtschaftlicher Gedanke: Kurzfristig mag Kohäsion wie Wohltätigkeit wirken, doch langfristig hofft die EU, dass unterversorgte Staaten und Gruppen einen stärkeren Beitrag zur europäischen Wirtschaft leisten können. Ein Beispiel ist Irland, das durch gezielte Investitionen von einem Empfänger- zu einem Geberland im EU-Haushalt wurde. Der EAA könnte ähnliche Effekte haben, indem er Menschen mit Behinderung nicht nur den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen erleichtert, sondern sie auch besser in den modernen EU-Arbeitsmarkt einbindet. Dies knüpft an die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderung an, die eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung als Ziel setzt.
3. Zugang zu neuen Märkten
Ein weiterer Vorteil des EAA ist der verbesserte Marktzugang. Im Jahr 2020 lebten schätzungsweise 87 Millionen Menschen irgendeiner Form von einer Behinderung in der EU. Barrierefreie Produkte sind für diese Konsumentinnen und Konsumenten leichter zu kaufen, zu nutzen und zu verkaufen. Besonders im Bereich Investitionsgüter könnten barrierefreie Produkte die Produktivität von Mitarbeitenden mit Behinderung steigern. Darüber hinaus könnten barrierefreie europäische Produkte auf internationalen Märkten attraktiver werden und der EU einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Auch hier wird der Nutzen über einen längeren Zeitraum sichtbar. Die EU wird im Durchschnitt älter, und damit steigt auch die Zahl der Menschen mit Behinderung. Indem die Barrierefreiheit in alle Produktions- und Lieferketten integriert wird, könnte die EU ihre Wirtschaft gegen diesen demografischen Wandel zukunftssicher machen. Europa ist dabei kein Einzelfall. Auch andere große Volkswirtschaften wie die USA und China könnten ähnliche Maßnahmen ergreifen, da sich ihre Bevölkerungsstruktur ähnlich entwickelt.
Prognosen zum medianen Alter (Quelle: Our World In Data)
Warum sollte das wichtig für Dich sein?
Aus der EU-Strategie zur Barrierefreiheit können Unternehmen einiges lernen. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Kundinnen und Kunden mit Behinderung können einen kommerziellen Beitrag zu Deinem Geschäft leisten, wenn Du ihnen eine barrierefreie User Experience bietest.
- Universelles (und damit barrierefreies) Design schafft Produkte, die in mehr Projekten und Märkten integriert werden können.
- Investitionen in barrierefreie Produkte und Services können sich langfristig auszahlen.
- Verbesserungen in der Barrierefreiheit lassen sich kosteneffizient in größere Redesign-Projekte integrieren.
Diese Prinzipien sind nicht in jedem Kontext absolut gültig, aber sie gelten in den meisten Fällen. Zumindest lohnt es sich, sie ernsthaft zu prüfen, denn die möglichen Vorteile sind beträchtlich. Wer den EAA proaktiv als Chance begreift, kann nicht nur die neuen Vorschriften einhalten, sondern auch eine Vielzahl von geschäftlichen Vorteilen generieren.