Unternehmenswebsites haben vieles zu erzählen – eine Menge davon direkt, aber allerhand auch „zwischen den Zeilen“. Aber was ist mit der eigenen Website? Ist wirklich klar, was sie alles mitteilt?
Was eine Website aussagt (eigentlich sogar jede digitale oder analoge Publikation), ist mehr als die Summe ihrer Inhalte. Sie ist ein öffentliches Gesicht des Unternehmens, und so kann jedes Wort, jede Farbe, jede Linie dem Gegenüber etwas zu verstehen geben. Bewusst oder unbewusst.
Nehmen wir zur Veranschaulichung erstmal ein Beispiel aus dem analogen Bereich: Betritt man ein Restaurant, dann schätzt man schnell ab, was einen dort erwarten mag. Einrichtung, Musik, Beleuchtung, Kundschaft, Art des Service: All diese Aspekte fließen in die persönliche Erfahrung ein. Sie entscheiden allerdings nicht unbedingt, ob die Erfahrung gut oder schlecht sein wird. Wenn die Speisekarte bzw. das Essen nicht der Erwartung entspricht, die diese Faktoren ausgelöst haben, wird man sich als Gast mit einem bitteren Beigeschmack an das Restaurant erinnern. Mit anderen Worten: In der Außenwahrnehmung präsentiert sich die Marke widersprüchlich.
Übrigens irritiert solch ein Widerspruch nicht nur, wenn das Essen hinter dem ersten Eindruck zurückbleibt. Das Produkt kann auch „zu gut“ sein, gemessen am allgemeinen Erscheinungsbild: Wenn alles darauf hindeutet, dass ich hier für den kleinen Geldbeutel handfest Pommes und Burger genießen kann, dann aber eine Haute-Cuisine-Karte mit fürstlichen Preisen überreicht bekomme, wende ich mich lieber ab und suche mir ein anderes Lokal.
Die eigene Marke im Internet
Diese Logik gilt auch in der Onlinewelt. Jede Designentscheidung, die man für sich trifft, kann etwas über das eigene Unternehmen aussagen. Daher ist es essenziell, dass diese Entscheidungen mit dem harmonieren, wofür das Unternehmen in der Öffentlichkeit stehen will.
Spannende Beispiele sind die Websites von Budget Travel und Oroko Travel. Beides sind irische Unternehmen der Reisebranche, doch ihre Onlineauftritte könnten unterschiedlicher nicht sein – nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in der Botschaft, die sie damit vermitteln. Schon beim ersten Blick auf die Seiten ist klar, wie sich die Urlaubsarten unterscheiden, die die beiden Firmen anbieten.
Es wäre einfach und vielleicht auch verlockend für Budget Travel, die eigene Website ähnlich wie die von Oroko Travel zu gestalten. Es ist nicht einmal abwegig, Letztere als „besser“ zu bezeichnen. Wichtig ist jedoch: Die Seiten sind aus einem bestimmten Grund genau so, wie sie sind. Die Unternehmen warten mit unterschiedlichen Angeboten auf. Eine nach Luxus aussehende Website würde tatsächlich aktiv gegen die Marke Budget Travel arbeiten und ihrem Image, den Website-Conversions und dem Umsatz schaden.
Zur Verdeutlichung noch ein Blick auf die Seite Ryanair.com: Design-Snobs hätten hier gewiss etwas zu lästern. Aber aus Marketingperspektive ist unstrittig: Die Marke steht für „Billigflüge“, und diese Botschaft muss die Website unterstützen. Alles andere wäre für die Marke widersprüchlich und kontraproduktiv.
Das Design der Unternehmenswebsite muss also zur Marke passen. Es darf nicht auf etwas anderes hinauswollen.
Wenn die Website das Produkt ist
Bisweilen ist eine Website tatsächlich das Produkt selbst. In solchen Fällen kommunizieren Designentscheidungen oft eine Menge über das Produkt, aber auf einer unbewussten Ebene. Was ich hier meine? Schauen wir uns zwei der bekanntesten und erfolgreichsten Unternehmen der Welt an: Google und Amazon.
Auf den ersten Blick öffnet sich bei Google.com oder wahlweise Google.de eine außergewöhnliche Homepage für einen Konzern, der so viele Produkte und Geschäftsbereiche umfasst. Die Seite ist seit ihrem Launch im Jahr 1998 weitgehend unverändert: Sie bietet fast nichts anderes als ein Suchfeld und zwei Schaltflächen.
Dieses „fast nichts“ kommuniziert jedoch fast alles über Google als Produkt. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie die alternativen Suchmaschinen in der Anfangszeit aussahen. Altavista, Lycos, Yahoo! usw. hatten alle üppig gespickte Homepages mit Hunderten von Links, Webverzeichnissen und News-Feeds. Dahinter steckte der Gedanke, es sei wichtig, mehrere Möglichkeiten zur Navigation von Informationen im Web anzubieten.
Google hat dieses Durcheinander in einer mutigen Designentscheidung abgeräumt und hält seit eh und je an diesem Ansatz fest. Warum? Weil diese Schlichtheit klar und deutlich und auch kohärent ausdrückt:
"Unsere Suche funktioniert so gut, dass alle Alternativen überflüssig sind"
Tatsächlich funktioniert Googles Suche derart gut, dass sie den Button „Auf gut Glück!“ ergänzt haben, der Suchende direkt zum Top-Ergebnis bringt. Dies ist kein Gimmik, sondern eine klare Ansage bezüglich der Produktqualität, auch für die, die das Produkt im Grunde nicht nutzen.
Man kann sich vorstellen, dass im Lauf der Jahre immer wieder Vorschläge aufkamen, das eine oder andere Element zur Google-Homepage hinzuzufügen. Nachrichten-Feeds. Links zu anderen Google-Produkten. Eine Empfehlung zur „Seite des Tages“. Ankündigungen neuer Produkte.
Da mein Herz fürs Marketing schlägt, erhebe ich mein Glas auf all die, die sich hartnäckig dafür eingesetzt haben, Google so zu belassen, wie es ist. Es ist eine Website, die sich selbst treu geblieben ist und sich als die Adresse positioniert, „wo man alles schnell findet“. Meiner bescheidenen Meinung nach ist die Google-Homepage das Beste, was in den vergangenen drei Jahrzehnten digital designt wurde. Auch wenn die Gründer behaupten, es sei zufällig so geschehen.
Und nun zu einem Gegenbeispiel, zu einem Unternehmen, das diesen Thron für sich beansprucht (auf die eine oder andere Weise): Amazon will letztlich die erste Anlaufstelle für Suchanfragen sein, zumindest für die Suche nach Konsumgütern. Aber diesen Punkt hat das Unternehmen bislang nicht erreicht. Konsequenterweise erzählt es mit seiner Homepage eine andere Geschichte.
Auf der Amazon-Homepage tummelt sich eine Menge. Sie soll User:innen von der gesamten Produktpalette überzeugen, die über die Website erhältlich ist. Viele der Designentscheidungen hier sind mit schnellem Umsatz zu erklären, doch die Startseite soll auch etwas über die große Auswahl an Produkten erzählen, die Amazon anbieten kann. Das Unternehmen arbeitet daran, die erste Anlaufstelle für alle denkbaren physischen Produkte zu werden, und die Homepage soll helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Was sich daraus folgern lässt
Die Websites bzw. Homepages von Budget Travel und Oroko Travel und auch diejenigen von Amazon und Google kommen also einerseits völlig gegensätzlich daher. Andererseits sind sie alle sorgfältig dafür gestaltet, die Geschichte der eigenen Marke bzw. des Unternehmens dahinter zu erzählen, eben auf sehr individuelle Weise.
Und wenn dieser Ansatz Google und Amazon groß gemacht hat, wer würde ihn dann nicht übernehmen wollen?